Die Midlife-Crisis und ihre Auswirkung auf die Paarbeziehung

Ein etwas längerer Blogbeitrag als Auszug aus meiner Masterthesis.
Lesezeit: 11 Minuten

Gibt es die Midlife-Crisis und wenn ja, welche Auswirkungen hat sie, auf Einzelpersonen und auf Beziehungen. Das war die Frage meiner Masterthesis. Der ursprüngliche Zusatztitel der Arbeit wäre gewesen: „Ich schau mal ganz auf mich.“ Doch der Titel hätte das Ergebnis vorweggenommen. Zu klären war ja auch, welchen Effekt die Midlife-Crisis hat. Offen und neugierig.

Dazu habe ich wissenschaftliche Theorie über das Phänomen Midlife-Crisis recherchiert und danach 10 Männer und Frauen aus Paaren einzeln interviewt und anhand der Befragungen die Theorie überprüft.

War die Midlife-Crisis immer „männlich“?

Schon das Ergebnis der Theorie mag für viele überraschend sein, die Midlife-Crisis war ursprünglich ein auch stark weibliches Phänomen und hat sich im letzten halben Jahrhundert medial in ein männliches verwandelt.

Susanne Schmidt, eine Historikerin an der Freien Universität und am Deutschen Historischen Institut in Washington, D. C. merkt in ihrem Buch „Midlife Crisis, The Feminist Origins of a Chauvinist Cliché“ aus dem Jahr 2020 an, dass erst die männlichen Wissenschaftler der Psychoanalyse die Midlife-Crisis in ein männliches Phänomen verwandelt haben.

Die Midlife-Crisis wurde 1974 durch ein weltweit erfolgreiches Buch der Journalistin Gail Sheehy beschrieben. In „Passages“ schildert sie die Krise von Frauen aus Nordamerika, die Mitte 35 in eine Lebenskrise geraten. Interessantes Detail: Die Autorin war Zeugin des berüchtigten „Bloody Sunday“ in Irland, was sie selber in eine Krise gestürzt und zu ihrem Weltbestseller animiert hat.

2022…alles anders?

1974. Längst Vergangenheit könnte man meinen, alle Umstände, Erwerbstätigkeit der Frauen, Familiengefüge, patriarchalische Strukturen innerhalb der Familie haben sich geändert – die Midlife-Crisis sei deshalb reine Männersache, beträfe nur Männer, die Ende 40 seltsame Veränderungen in ihrem Leben vornehmen, ihre Sekretärinnen heiraten oder sich Motorrad oder Porsche zulegen und schwerst promiskuitiv werden.

Doch Sheehys Ansatz bezüglich der Lebensphasen der Frau von damals hat enorme Aktualität trotz Veränderungen der Gesellschaft. Und gleichzeitig gibt es auch die erwähnten Männer, die Auswirkung derer Sinnkrise ist aber oft tiefsinniger als der Ruf der Krise beschreibt. Bei beiden Geschlechtern ist es eine Entwicklungskrise, die einen Übergang bedeutet, bei Männern kommt diese allerdings meist später als bei Frauen.

Das mag mit der nach wie vor aktuellen Aufgabenteilung zu tun haben, die die Verantwortung für die Kinder bedeutet. Nach wie vor liegt die Hauptlast der Kinderbetreuung bei den Frauen, die Hauptlast der finanziellen Versorgung bei den Männern.

Dass Frauen mit 35 Jahren eine Krise bekommen, ob das schon alles ist, nämlich Kinderbetreuung, einen Teilzeitjob, eine Beziehung mit einem Partner, der sich viel um die finanzielle Versorgung der Familie kümmert und dadurch auch wenig Zeit bei der Familie ist, ist naheliegend. Frauen stellen deshalb auch öfter die Beziehung in Frage als Männer.

Und wenn sich auch alle äußeren Umstände in den letzten Jahrzehnten geändert haben, gibt es doch eine Konstante: die Biologie. Wir zeigen noch im gleichen Alter wie vor 50 Jahren erste Alterserscheinungen, das legt nahe, dass 35 Jahre bei Frauen nach wie vor ein relevantes Alter für eine Krise sein kann. Nicht weil Frauen über 35 nicht mehr schön sind, sondern weil das Idealbild der schönen Frau nach wie vor medial jünger dargestellt wird. Aber auch die abnehmende Fruchtbarkeit kann ein Thema sein, an dem Frauen ihren Wert messen.

Bei Männern ist die Midlife-Crisis, vor allem die Gründe für diese, etwas anders gelagert. Gesundheit und Leistungsfähigkeit stehen im Vordergrund, deshalb kommt die Krise meist später.

Magische Grenzen sind oft in Paarbeziehungen die Nuller-Alterssprünge, also 30, 40, 50. Wenn beim Alter von 30 vor allem bei den Frauen der Kinderwunsch im Vordergrund steht, ist es beim Alter von 40 Jahren bereits die gefühlte Vergänglichkeit der Schönheit im Vergleich zum in Bezug auf dieses Thema medial verbreiteten Idealbild einer Frau. Erste Fältchen, weiße Härchen machen sich bemerkbar, die Zahl 40 wirkt oft bedrohlich. Dazwischen liegt 35 als magische Alter, in dem Frauen oft über ihr Leben nachdenken und ob das schon alles ist.

Auch hier ticken Männer meist anders. 30 ist kein magisches Alter, 40 birgt schon mehr Nachdenkpotential, spätestens mit 50 wird abgerechnet. Mit sich selbst. Das ist nicht die Mitte des Lebens, kaum jemand wird 100 Jahre alt, dennoch ist die Phase der Midlife-Crisis, zumindest bei den befragten Männern eher bei 40 oder 50, bei den Frauen eher bei 35-40 Jahren.

Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass Frauen oft vorausschauender denken und planen, um Probleme vorzeitig zu erkennen und Maßnahmen zu treffen, während Männer davon ausgehen, dass sie Probleme meistern werden, wenn sie da sind.

In meinen Paarcoachings verwende ich oft den Vergleich, wie Väter und Mütter manchmal (übertrieben dargestellt und mit Augenzwinkern) unterschiedlich mit einem Baby aus dem Haus gehen. Mütter eher mit großen Babytaschen und Rucksäcken, in denen alles für alle Eventualitäten enthalten ist und mit denen sie ihr Baby 1-2 Wochen auch in der Wildnis versorgen könnten. Männer nehmen oft eine Windel mit. Den Rest, davon gehen sie aus, können sie improvisieren. Beides natürlich absurd, aber als Vergleich darf es herhalten.

Wahrscheinlich zutreffender ist das Argument, dass bei meinen Interviewpartnerinnen das kleinste Kind der Paare aus der gröbsten Aufsichtsverantwortung heraußen waren (3-4 Jahren bei allen Befragten), dann kam es zum Weiterentwicklungsschub der Mütter.

Denn das ist die Midlife-Crisis in ihrer ursprünglichen Definition, eine Weiterentwicklungsphase. Einer der befragten Männer wehrte sich auch heftig gegen den Begriff Krise, weil er dies zu abwertend für diese Phase des Lebens sieht. Ein fortschrittlicher Ansatz eines Menschen, bei dem die Krise/Phase bereits viel Positives bewirkt hat.

Auswirkungen

Speziell auf die Paarbeziehung bezogen birgt das unterschiedliche Auftreten der Krise bei Männern und Frauen Konfliktpotential. Auch der Umstand, dass die Krisen bei den beiden Geschlechtern unterschiedliche Auswirkungen haben, trägt nicht zum gegenseitigen Verständnis bei. Dazu kommt größere Eigenbestimmtheit des Vaters (oft durch Berufstätigkeit und Absenz) und die größere Fremdbestimmtheit der Mutter der Kinder (Zuhause oder Teilzeitarbeit, sich um die Kinder kümmern).

Die berufsbedingte Absenz des Mannes/Vaters der Kinder ist für den Mann weniger Faktor, ist es doch die Fortsetzung gelernter Beziehungsmuster aus der Herkunftsfamilie und den Generationen davor.

Bei der Frau ist genau das ein Knackpunkt. Will ich so ein Leben führen wie meine Mutter oder soll es erfüllter sein? Will ich mich reduzieren lassen auf die Mutterrolle? Die mit Elternschaft oft verbundene Abnahme der erfüllenden Paarbeziehung tut ihr Übriges dazu. Wollte ich nicht eine romantische Beziehung mit Wertschätzung und Liebe?

Männer scheinen da oft einfach gestrickt. Ganz oft suchen wir in der Frau die Mutter, ohne es zu bemerken (Frauen übrigens auch oft den Vater). Und was bedeutet die Mutter? Versorgung, Aufopferung, ohne dass man viel dafür tun muss. Brauche ich da die Romantik dazu?

Aber ein wenig tu ich den Männern, vor allem den Befragten Unrecht. Denn die Versorgung und finanzielle Verantwortung für eine Familie mit Kindern lastet oft schwer auf den Schultern. Dass dabei, beim Vielen leisten müssen, und auch Engagement bei den Kindern und im Haushalt, was heute verstärkt normal ist und zum Eigenverständnis der Väter gehört, die Romantik auch mal verloren geht, ist nahe liegend.

Dann gibt es noch den Effekt des vom Thron gestoßenen Königs. Nach der Geburt des ersten Kindes tritt der Mann an die zweite Stelle bei der Partnerin. Prinzen und Prinzessinnen regieren ab nun. Das Sexualleben nimmt ab, ebenso andere bisher vielleicht gelebten Zuneigungsbezeugungen. An erster Stelle steht die Versorgung des Kindes mit allem was es braucht. Die Männer vergessen dabei, dass sie auch die Paarbeziehung fördern sollten, genauso wie die Frauen, dass sie nicht nur Mütter sind. Nach 3-4 Jahren, bei zwei Kindern nach ca. 5-7 Jahren wird die Romantik und die Paarbeziehung dann vermisst. Da haben die Männer oft längst aufgegeben und sehen sich nur mehr als Familienvater.

Die Midlife-Crisis beim Mann hat weniger mit dem Verlust der Schönheit zu tun als mit der Endlichkeit des Seins. Grundsätzlich scheint bei vielen Männern das Aussehen weniger Wert zu haben als bei Frauen. Sind bei den Frauen Fältchen und graue Haare auch durch die Werbeindustrie gefördert eine wenig akzeptierte natürliche Veränderung, gewinnen Männer oft durch diese Alterserscheinungen.

Nicht bei allen Männern ist Aussehen sekundär. Und in der nächsten Generation der Bodydesigner, die man jetzt mehr und mehr sieht, vielleicht noch weniger. Junge Männer, die sich in Fitnessstudios performen sind fast schon Standard. Mit ihnen müssen sich die älteren Generationen, die gerade in die Midlife-Crisis kommen, messen. Das führt zu Effekten, die auch bei den Probanden zu bemerken sind, Ernährung und Fitness stehen oft im Vordergrund.

Kann die Krise den anderen/die Andere ebenfalls in die Midlife-Crisis stürzen?

 Ja, vor allem aber nicht nur, wenn ein Altersunterschied zwischen den PartnerInnen besteht, welcher zumeist (nach wie vor) bedeutet, dass der Mann älter ist als die Frau. Sucht die Frau dann nach Bestätigung bei anderen Männern, löst das oft auch eine Krise beim Mann aus.

Ist der Mann aber zuerst in der Krise, sondert er sich oft ab, verkriecht sich in seine berühmte Höhle, bis er das Problem gelöst hat. Das erzeugt Distanz, die Partnerin schützt sich mit „Gegendistanz“.

Distanz ist das größte Problem der Midlife-Crisis bei Paaren. Durch die gegenseitigen Individuations- und Schutzeffekte entsteht sie. Das Idealverhalten wäre, dem Partner, der Partnerin Geborgenheit zu geben und die Krise mit ihm oder ihr durch zu stehen. Aber wie gibt man Geborgenheit, wenn er/sie grad so sehr mit sich beschäftigt ist und man selbst nicht verletzt werden will?

So wie in allen Paarsituationen ist deshalb ein ganz bewusstes Achten auf sich selbst wichtig. Schauen, dass man selbst im bestmöglichen Zustand ist, um die Krise des/der Anderen selbst gut durchstehen zu können. Und von der Beziehung nehmen, was da ist und nicht primär beklagen, was grad fehlt. Und vor allem die Krise des Partners/ der Partnerin als vorübergehenden Zustand zu sehen, als Entwicklungs-Phase und auch Chance für die eigene Weiterentwicklung.

 

Der Verlust der Unverwundbarkeit

Einer der Befragten gab in einem Coaching nach dem Interview an, dass der momentane Gesundheitszustand seines Vaters ihn an die eigene Endlichkeit erinnert. Mit 20, gibt er an, denkt man, man sei ohnehin unverwundbar, jetzt wo er bald 40 wird, macht er sich Gedanken.

Allgemein sehe ich einen wichtigen Zusammenhang zwischen dem Alter bzw. Todesalter des eigenen gleichgeschlechtlichen Elternteils. Ist man zB als Mann 50 und der Vater starb mit 60 ist das gefühlt ein anderer Ausgangspunkt als zB 50/88. Je näher man dem Alter kommt, desto stärker wird der Gedanke an den Tod, die eigene Endlichkeit.

Wir sind nicht unverwundbar und wir werden alle sterben. Irgendwann.

Aber dieser Gedanke war lange Zeit nicht mal Thema. Erst in der Phase der Midlife-Crisis bekommt er seine „Chance“. Diese Einsicht führt unweigerlich zur allumfassenden Frage in der Midlife-Crisis:

Wie gestalte ich den Rest meines Lebens, wie kann ich dieses glücklich verbringen?

Glück

Glück bekommt plötzlich eine Dimension, eine Wertigkeit, ist aber durch das bisherige reine Funktionieren als wesentliche Komponente unseres Lebens verkümmert. Diesen Gedanken zu aktivieren, stößt Männer und Frauen in tiefe Verunsicherung und Orientierungslosigkeit.

Der Mann verschwindet in seiner berühmten Höhle, igelt sich ein und versucht den klaren Gedanken, die Lösung des Problems zu finden. Wenn er diesen in der Innenschau nicht findet, kommt es zum Try-and-Error-Effekt im Außen, der Mann probiert aus, was ihn glücklich macht. Aus der Höhle wird er erst wieder zurückkommen, wenn er die Lösung für sich gefunden hat, davor fühlt er sich verwundbar.

Einen Lösungsansatz bietet der Philosophieprofessor am Massachusetts Institute of Technology Kieran Setiya in seinem 2017 erschienenem Buch „Midlife-Crisis. Eine philosophische Gebrauchsanweisung.“ Setiya ist der Meinung, dass man sich in dieser Phase mehr sinnlosen Tätigkeiten hingeben sollte, die nicht dem Funktionieren dienen. Er nennt Musik hören, singen oder segeln, also alles Tätigkeiten, die wenn man nicht gerade Berufsmusiker oder –segler ist, der Freude dienen und nicht dem Erhalt oder der Verbesserung, wie die meisten bisherigen Tätigkeiten.

Frauen gehen eher gleich nach außen, suchen Gesellschaft und Kontakt. Zu anderen Frauen, sie suchen sich Hilfe, reden darüber. Vielleicht erfolgt aber auch eine Zuwendung zu anderen Männern.  Wenn ich als Mann schreiben würde, dass Frauen dann ebenso fremd gehen, um Glück zu finden, klingt das etwas einseitig. Deshalb zitiere lieber Gail Sheehy:

“Thirty-five begins the dangerous age of infidelity.”
(Sheehy, 1974, 369)

Das Klischee

Der Effekt der Midlife-Crisis des Mannes für die Partnerin und oft auch die Familie ist eine starke Ich-Konzentration, was ihn als Partner unfassbar macht, in jeglicher Hinsicht. Oft behält er seine Basis, seine Familie. Ist aber das Angebot da, und sind wir uns ehrlich, es ist ganz oft jemand, eine Helferin da, wenn das eigene Hinterfragen auch zu einer Beziehungskrise wird, trennt er sich auch. Und hier sind wir beim Klischee der Midlife-Crisis angelangt.

Entgegen diesem Klischee waren die Frauen unter den Befragten aber eigentlich jene, die sich in ihrer Midlife-Crisis getrennt haben. Von 5 Paaren haben sich 2 Frauen getrennt, beide im Alter von 35 Jahren. Beide, weil es einen anderen Mann gab, eine Alternative. Sehnsucht und Verliebtheit waren die Triebfeder für die Trennung, beide gaben den anderen Mann als Grund an, beide aber nicht als Ursache. Ist das jetzt das Ergebnis einer Beziehungskrise oder der Midlife-Crisis?

Und stellen wir die reine Sinnsuche, die philosophische Betrachtung des in die Reife kommenden Mannes zum Sinn des Lebens, wie es viele männliche Wissenschaftler getan haben, über die Sinnsuche der Frau, der Suche nach dem Glück?

Das ist nämlich passiert in der Geschichte der Midlife-Crisis, ein ursprünglich weibliches Original wurde in ein männliches Klischee verwandelt. Was macht das mit den Frauen Mitte 30? Es passiert eine Reduktion dieser Bedürfnisse auf eine narzisstische Ebene. Die Aussage mancher Wissenschaftler dazu ist:

Die Frau stellt ihr Selbstbild in dieser Phase aufs Podest und prüft es, sowohl in beruflicher Hinsicht als auch bezüglich Glück in der Beziehung. Auch von einer „narzisstischen Phase“ ist die Rede.

Die Frau wird dadurch oft reduziert auf die Veränderung der Schönheit, des Aussehens.

Und ähnlich geht es den Männern. Die tatsächlich oft stattfindende philosophische Betrachtung und tiefgreifende Sinnsuche wird reduziert auf die Lächerlichkeit von neuen Autos und jüngeren Gespielinnen. Doch das ist keine faire Behandlung der Midlife-Crisis, und der Frauen und Männer.

Eigentlich sollte man die Midlife-Crisis  umbenennen:

In Endlich-in-Frage-stellen-was-ich-tun-muss-um-glücklich-zu-sein-und-es-dann-auch-ändern-Phase.

Das geht natürlich nicht so leicht von der Zunge. Midlife Change klingt da schon leichter, aber auch da wird suggeriert, dass man in der rechnerischen Mitte des Lebens sein muss, was ja nicht unbedingt so ist. Denn weder ist das durchschnittliche Lebenserwartung der Frauen in unserer Gesellschaft 70, noch bei den Männern 100 Jahre. Davon, dass Frauen eine höhere Lebenserwartung haben als Männer ganz zu Schweigen. 

Trennung?

Erstaunlich sind die Effekte der Midlife-Crisis für die Paarbeziehung, wenn man der Krise eine Chance gibt, ihren Ruf zu retten.

Eine Trennung und der Verlust der Familie ist nichts, was man anstrebt, es ist manchmal eine Konsequenz. Und es ist auch eine Art Sinnsuche mit der Methode Try-and-Error. Eines der Paare hat nach 2 jähriger Beziehungspause wieder zusammengefunden. Und die Beziehung ist besser als je zuvor, laut deren Aussage. Der ehemals verlassene Mann sagt sogar „Die Krise ist das Beste, was uns passieren konnte.“

Man könnte also meinen, eine Trennung führt zum Erfolg der Beziehungsverbesserung. Das ist aber nur ein Teil der möglichen Erkenntnis. Denn auch wenn die Paare zusammen bleiben, kann das eine Trennung bedeuten, wie die Ergebnisse zeigen.

Starke Distanzierung, sowohl hinsichtlich Freizeitgestaltung als auch emotional ist ein Effekt, der bei allen Paaren aufgetreten ist. Auch wenn die Paare also zusammenbleiben, kann von einer Trennung gesprochen werden, ebenso von einer starken Ich-Fokussierung. Bindeglied sind oft die Kinder, derentwillen man diese Art der Trennung wählt. Im Gegensatz zur Konsequenz der tatsächlichen Trennung mit unterschiedlichen Wohnsitzen ist das ein Kompromiss, im besten Fall Konsens für eine Entscheidung, einen Mittelweg zu finden.

Das soll jetzt kein Plädoyer für Trennung sein.

Doch wie schafft man dann den Weg von der Distanzierung zurück zur innigen, vertrauensvollen Paarbeziehung? Denn eines bewirkt die Midlife-Crisis auch. Das Vertrauen in den Partner/die Partnerin schwindet. Die bedingungslose Liebe, die wir eigentlich als Liebeskonzept von den Eltern übernehmen, verändert sich in eine Liebe mit Bedingungen.

Anlass dafür ist die Gefahr der Trennung, der völligen Abwendung des Partners/der Partnerin. Aus Selbstschutz bedeutet das für den Partner/die Partnerin der von Midlife-Crisis betroffenen Person, sich auf sich selbst zu konzentrieren, auf die einzige Person, auf die er/sie sich verlassen kann.

Und hier schließt sich der Bogen dieses Kommentars. Die Quintessenz ist für beide Partner: Ich schau mal ganz auf mich.

Die Aufgabenstellung für beide PartnerInnen ist also, anzuerkennen, dass beide nicht unfehlbar sind, dass beide zu kämpfen zu haben, eigene Individuen sind, die ihren eigenen Weg finden müssen. Wenn das anerkannt ist, wenn wir zurück gekehrt sind zum Gedanken „Ich bin ich und ich könnte auch alleine alles schaffen“ wird etwas Gemeinsames wieder möglich. Und dann ist es auch eine Entscheidung mit dem Partner, mit der Partnerin zusammen sein zu wollen und nicht nur ein durch gemeinsame Kinder zu bewältigendes Schicksal.

Aussicht?

Als Abschluss meiner Masterarbeit hab ich einen Vorausblick für künftige Forschung formuliert. Einer der Punkte ist, Methoden zu finden und anzuwenden, um die Distanz wieder zu überwinden. Das funktioniert aus meiner Sicht über die Individualität jedes Partners/jeder Partnerin. Das Gefühl zu erarbeiten, alleine gut im Leben stehen zu können und dadurch neu auf den Anderen, die Andere zugehen zu können, ohne dass Bedürfnisse, die aus der eigenen Kindheit herrühren, bedient werden müssen, ist etwas, bei dem ich gerne mit meiner Coachingarbeit unterstütze.

Auszug aus verwendeter Literatur (alphabetisch) :

Birkelbach, Klaus; Meulemann, Heiner, 2017, Lebensdeutung und Lebensplanung in der Lebensmitte: Vom Gymnasium bis zur Planung des Ruhestands

Erikson, Erik H., (1973), Identität und Lebenszyklus, Suhrkamp Verlag; 29. Edition

Grün, Anselm (1980), Lebensmitte als geistliche Aufgabe, 20.Auflage 2018, Vier-Türme-Verlag, Münsterschwarzach

Kast, Verena (2000), Lebenskrisen werden Lebenschancen, Freiburg

Münch, Volker (2016), Krise in der Lebensmitte – Perspektiven der analytischen Psychologie für Psychotherapie und Beratung, 1.Auflage, Springer Verlag, Berlin

Reich, Günter (1998), Paare in der Lebensmitte, Psychotherapeut 1998, Ausgabe 43, Seite 102–110, Springer-Verlag

Schmidt, Susanne (2020), Midlife Crisis, The Feminist Origins of a Chauvinist Cliché, Chicago/London

Schnarch, David (2015), Die Psychologie sexueller Leidenschaft, 17.Auflage, Piper Verlag, München

Setiya, Kieran (2019), Midlife-Crisis, Eine Philosophische Gebrauchsanweisung, Berlin

Sheehy, Gail (1974) Passages, Predictable Crisis of Adult Life, New York

Waidhofer, Eduard (2015), Die neue Männlichkeit. Der Weg zu einem erfüllten Leben, Fischer & Gann; 1. Auflage, Munderfing

Wardetzki, Bärbel (1997), Weiblicher Narzissmus: der Hunger nach Anerkennung, 30.Auflage 2020, Kösel-Verlag München

Menü